Die Kunstkammer im Georg-Kolbe-Museum, No. 3 – Christina Doll
28. Juni – 6. September 2009
Vivi, Bobby, Elli und Herr Fuhl im Georg-Kolbe-Museum
Eröffnung: 27. Juni 2009, 18 Uhr
Mit freundlicher Unterstützung der Galerie Michael Janssen, Berlin
Zur Ausstellung erscheint im Kerber-Verlag ein Katalog mit Texten von Heiner Schepers, Marc Wellmann, Nikola Doll und Renate Goldmann.
Bereits bei meiner ersten Begegnung mit Christina Doll in ihrem Atelier im Herbst 2008 entstand die Idee, ihre aktuelle Werkgruppe monumentalisierter Porträtfiguren im Garten des Georg-Kolbe-Museums zu zeigen. Die damit verbundene Gegenüberstellung von zwei verschiedenen Menschenbildern, die sich aber auch auf eigentümliche Weise begegnen, wirft Fragen über ästhetische Normen auf und motiviert das kritische Sehen und Denken. Georg Kolbes Bronze-Plastiken befinden sich zum großen Teil noch an genau den Orten im denkmalgeschützten Garten wie sie noch vom Künstler vor dessen Tod 1947 aufgestellt wurden. Die Unterschiede zu Christina Dolls Plastiken sind sowohl auf ästhetischer als auch auf formaler Ebene frappant. Beton trifft auf Bronze, Porträthaftigkeit auf Typisierung, alltägliche Bekleidung auf ideelle Nacktheit, lüsiges Stehen und Sitzen auf gespannte Energie und Kraft. Auch sind die Formate höchst unterschiedlich. Kolbes Plastiken sind in der Regel unter bis leicht überlebensgroß. Christina Dolls Figuren weisen jedoch die doppelte Lebensgröße auf und zitieren damit die Funktionen einer traditionellen Denkmalplastik.
Der Denkmalwahn des späten 19. Jahrhunderts scheint uns heute nichts mehr anzugehen. Eine regelrechte Manie hatte die bürgerliche Gesellschaft damals erfasst, befeuert von einem national gefärbten Historismus. Bis in die fernste Provinz stehen sie seitdem auf Sockeln, heroisch und überlebensgroß: Kaiser, Kriegshelden, Dichter-Fürsten, Wissenschaftler und Philospohie-Titanen. Seit der Pervertierung dieses Standbildkultes in den totalitären Gesellschaften des 20. Jahrhunderts sind die heutigen Demokratien sehr zögerlich mit figürlichen Repräsentationen im öffentlichen Raum. Allenfalls Sportlern ist es heutzutage noch gegönnt, weitgehend unhinterfragt eine Verherrlichung in Form eines öffentlich aufgestellten Denkmals zu erfahren, wie etwa der amerikanische Basketballspieler Michael Jordan, dessen riesige Bronze-Statue 1994 vor dem United Center in Chicago eingeweiht wurde.
In den modernen Mediengesellschaften sind wir jedoch von anderen Formen des Personenkultes beherrscht. In nie gekannter Intensität werden zeitgenössische Heldengestalten auf den Sockel medialer Inszenierung und Bewunderung gehoben. Außer Sportlern sind es vor allem all die Stars und Sternchen der Film- und Musikindustrie, deren Körper in Hochglanzmagazinen oder auf riesigen Billboards erscheinen und die im magischen Glanz des Fernsehgerätes zu überlebensgroßen Halbgöttern stilisiert werden. Diese Bilderflut prägt (manipuliert) unser Bewusstsein im viel stärkeren Maße als es ein figürliches Denkmal im öffentlichen Raum könnte, da diese Sphäre durch den Autoverkehr und die Allgegenwart von Werbebotschaften mittlerweile völlig verstellt ist. Bei dem medialen Personenkult geht es nicht um politische oder nationalistische Propaganda. Die öffentliche Präsentation von Schönen und Reichen dient letztlich handfesten kommerziellen Interessen. Sie ist Symptom eines Wirtschaftssystems, das darauf basiert, permanent neue Begehrlichkeiten zu schaffen und in enger Verstrickung zur Modewelt den Konsum zu befeuern. Die Karriere von Paris Hilton von einem Party-Girl zur Werbe-Ikone spricht Bände. „No more heroes anymore!“, sang 1977 die britische Punk-Bank The Stranglers. Der aufrührerische Ikonoklasmus dieser Zeit ist Geschichte.
Doch die Welt des Glamours und der Mode hat nicht nur Einfluss auf unser Kaufverhalten. Sie ist der Maßstab eines immer unerbittlich scheinenden Schönheitsideals, das sich an Jugend, Athletik und Schlankheit orientiert und starke Auswirkungen auf unser Selbstbewusstsein und Körperbild hat. Diäten sind gestern. Heute geht es um plastische Chirurgie bei Heranwachsenden, um Doping im Fitnessstudio, um Bulimie und Anorexie als verbreitete Formen von Essstörungen und um eine Konsum- und Leitungsgesellschaft, die jugendliche Schönheit im besondern Maße mit Erfolg und Glück gleich setzt.
Christina Doll hat sich mit ihren monumentalen Porträtfiguren Vivi, Bobby, Elli und Herr Fuhl ganz bewusst in Bereiche der Körperlichkeit begeben, die Abseits des gängigen Schönheitsideals liegen. Vivi ist eine etwas übergewichtige Jugendliche, Elli und Herr Fuhl sind beide sichtlich vom Alter gezeichnet, während Bobby unter einer genetischen Krankheit leidet. Diesen Menschen in mehr als doppelter Lebensgröße ein Denkmal zu setzten ist von der Künstlerin nicht als Provokation gemeint. Darin unterscheidet sich diese Werkgruppe auch von den unpersönlichen Marmorskulpturen des englischen Bildhauers Marc Quinn, der in Form eines kalkulierten Konzeptes Porträts von Menschen mit unterschiedlichen Versehrtheiten oder körperlichen Behinderungen in Auftrag gab (u.a. Alison Lapper Pregnant für das „Forth Plinth Project“ auf dem Trafalgar Square, London 2007). Christina Doll begegnet ihren Modellen hingegen mit großer Ernsthaftigkeit und tief empfundenen Respekt. Gemein ist allen vier Arbeiten eine Art natürliche Würde in der Darstellung, die sich gegenüber der fiktiven, durch die Medien aufgezwungenen Normierung mit einem Selbstverständnis des Individuellen behauptet. Ihr gelingt es beispielsweise, die Übergewichtigkeit von Vivi in ein plastisches Ereignis zu versetzen, das den Stolz der Dargestellten und ihre innere Zufriedenheit mit dem eigenen Körper verrät, ohne im Geringsten überzeichnet zu sein.
(Marc Wellmann, 2009)
PRESSESTIMMEN
Tagesspiegel
„Kurz & Kritisch: Vitrinen schützen die beiden kleinformatigen Keramikfiguren. Aber keine Sorge, ein Elefant passt in dieses Porzellankabinett ohnehin nicht hinein. Die Kunstkammer im Georg-Kolbe-Museum, ein winziger Sonderausstellungsraum, wird zum dritten Mal bespielt. …. Die vier überlebensgroßen Betonfiguren im Skulpturengarten des Museums sind die eigentliche Attraktion von Christina Dolls Gastspiel. Nicht zuletzt wegen des spannenden Kontrasts zu Georg Kolbes idealisierten Bronzekörpern.“ (Jens Hinrichsen)
zum Artikel