Die Kunstkammer im Georg-Kolbe-Museum, No. 2 – Sabine Groß
26. April - 21. Juni 2009
Eröffnung am 26. April 2009 um 11:30 Uhr
Parallel zu den beiden Tier-Ausstellungen wird die zweite Präsentation im Projektraum des Georg-Kolbe-Museums eröffnet. Sabine Groß bezweifelt die Gültigkeit einheitlicher Bewertungsmaßstäbe, was die Rezeption als auch die Produktion von Kunst anbelangt. Diese Haltung hat maßgeblichen Einfluss auf die Wahl ihrer künstlerischen Mittel. Die ausgestellte Bodenskulptur „Ohne Titel (Kampfplatz)“ von 2008 besteht aus lackiertem Polyester und simuliert die Spuren eines Zweikampfes auf einem verschlammten Untergrund. Es geht Groß dabei weniger um die Erzeugung eines Trompe-l’œil-Effektes als vielmehr um die Produktion einer Leerstelle, die die Frage nach Authentizität an die Fantasie und das Urteilsvermögen der Betrachter weitergibt.
Sabine Groß
Als sensible Beobachterin untersucht die Berliner Künstlerin Sabine Groß seit Beginn der 90er Jahre die Strukturen des Kunstbetriebs sowie den sich permanent ändernden Marktwert von Kunst. In ihren früheren Arbeiten thematisiert sie die Realität als durch verschiedene Ordnungsstrukturen definierten Handlungsraum. Ihre Fotoarbeiten, Videos und Installationen dienen der Wahrnehmung des Menschen innerhalb bestimmter Regelwerke und geben ihm im Rahmen dieser Strukturen die Möglichkeit der Redefinition seiner selbst.
In jüngster Zeit setzt Groß Ikonen der Konzeptkunst und der Minimal Art zur Auslotung dieser Strukturen ein. In einer Welt voller Zeichen und Symbole von ständig wechselnder Bedeutung scheint für sie die radikale und reduzierte Formensprache dieser Kunstrichtungen zu einem ästhetischen Überlebensmodell geworden zu sein, das die
künstlerische Handlungsfähigkeit innerhalb einer komplexen Lebenswirklichkeit sichert. Die Künstlerin zersetzt Schlüsselwerke Marcel Duchamps, Carl Andres, Donald Judds oder Sol Lewitts förmlich zwischen den extremen Polen von Konstruktion / Dekonstruktion, Funktion / Dysfunktion. Ihre subversiv wirkenden Manipulationen der Ikonen der Moderne spielen mit der Sprengkraft, die sich im Laufe der Zeit durch ihre inflationäre Wiederholung verschlissen hat.
Eine der wesentlichen Funktionen der Kunst liegt in der Produktion von Veränderung. Es ist ihre Fähigkeit, neue Realitäten zu schaffen, intellektuelle und wahrnehmungsspezifische Muster und Strukturen zu reflektieren und zu durchbrechen, welche die charakteristische Stärke des Mediums ausmacht. Sabine Groß legt diese Veränderung wie eine Archäologin Schicht für Schicht frei. Als ausgebrannte Mythen der Moderne präsentierte sie 2008 in der Ausstellung „Excavation Chic“ (Galerie magnus müller, Berlin) einst Bahn brechende Werke der zeitgenössischen Kunst. Futuristische Kuben à la Judd oder Lewitt aus weiß lackiertem Polyester gewähren in Folge einer Implosion Einblicke in ihr Innerstes, das im Gegensatz zur perfekten Hülle zersplittert und ausgehöhlt ist. Von ihrer ursprünglichen materiellen Erscheinung befreit, rekonstruiert sie daneben Carl Andres’ Bodenarbeiten als marode
Relikte einer Ausgrabung oder inszeniert Leinwandrollen als geheimnisvoll mumifizierte Objekte.
Die Transformationen von Sabine Groß sind Wiederaufführungen eines ikonologisch abgesicherten Bilderkanons, der sich in das kulturelle Gedächtnis ihrer Betrachter eingeschrieben hat. Gleichwohl finden in der künstlerischen Appropriation durch ihre Reinszenierung sowie durch die veränderte materielle Wiedergabe inhaltliche Verschiebungen gegenüber den Vor-Bildern statt. Ihre Dekonstruktionen und Fragmente sind Indikatoren für einen Paradigmenwechsel, der wie bei einem Blick durch ein umgekehrtes Fernglas den Vor-Bildern ihren Zeitwert entgegensetzt.
Sabine Groß eignet sich die Arbeiten einflussreicher Wegbereiter als Readymades an, und hinterfragt sie. Im Akt des Nachvollziehens stellt sie die das originäre Werk ausmachenden Bedingungen nochmals her und demontiert sie im gleichen Atemzug, weshalb die von ihr geschaffenen Doppel nicht als Kopie zu verstehen sind. Auf diese Weise hält die Künstlerin den von ihr ausgewählten Schlüsselwerken der Kunstgeschichte einen Spiegel vor, der ihnen ihre Einzigartigkeit wie auch deren Vergänglichkeit vor Augen führt.
In den Wiederbearbeitungen von Sabine Groß wird Kunst zu einem Ort, an dem neue Formen, Dinge und Strukturen entstehen, ebenso wie zu einem Ort des Zerfalls bzw. der Transformation traditioneller Werte. Sie dokumentiert daher mit den Mitteln der Kunst den gegenwärtigen tief greifenden gesellschaftlichen (Werte-) Wandel, der gewohnte Parameter und Kategorien in Frage stellt und Lebensformen neu bewertet.
(Friederike Nymphius, 2008)
PRESSESTIMMEN
Tagesspiegel
„Kurz & Kritisch: Manchmal sind historische Bahnhofshallen und andere Riesenplateaus einfach nicht das Richtige für Kunstwerke, die besser im intimen Rahmen wirken. Dann muss man Kabinette in den Ausstellungsraum hineinbauen. Oder noch besser: vorhandene Nischen ausnutzen. Drei mal drei Meter misst der Grundriss der Kunstkammer im Georg-Kolbe-Museum, Wandhöhe: 4 Meter. Nach der raumhohen Erstbespielung mit einer kletterpflanzenartigen Skulptur durch Dennis Feddersen bietet die Bildhauerin Sabine Groß nun ein Kontrastprogramm“ (Jens Hinrichsen)
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